Die Ästhetik des Unscheinbaren
Wenn ein einziges Wort das künstlerische Schaffen von Gerhard Maurer beschreiben dürfte, dann wäre „sinnlich“ wohl sehr nah dran. Darin liegt zum einen der Wortkern „Sinn“, ein Synonym von Inhalt und Bedeutung, zum anderen steht der Begriff immer in Zusammenhang mit der Wahrnehmung. In Maurers Arbeiten wird der Sinn lebendig, er strahlt. Denn seine durch vielseitige Themen geprägten Fotoarbeiten zeichnen eine unverwechselbare Handschrift, in der eine Suche nach Ästhetik und Authentizität sichtbar wird.
Seine Arbeiten sind viel mehr als nur Abbildung: Sie halten Stimmungen fest, den Geist eines Ortes, bringen das Wesen-hafte zum Vorschein. Maurer fotografiert Architektur, Portraits, Reportagen und setzt sich in seinen freien Projekten oft mit sozialen Themen bzw. mit Heimat und Identität auseinander. Sein Interesse liegt vielmehr an den Rändern als im Zentrum. Einer der wichtigsten Aspekte in seinen Arbeiten ist das Bestreben, den Motiven möglichst nahe zu kommen – sich im Moment des Fotografierens mit seinem Gegenüber zu „verbinden“, die Fähigkeit, sich auf das Thema einzulassen, um dessen Kern wiederzugeben. Die Werke nehmen großen Abstand zu gewohnten konstruierten fotografischen Abbildungen und bringen trotz ihres rauen Charakters viel Schönsinn. Es geht häufig um die Suche nach einer subjektiven Wahrheit, dem Versuch in die Tiefe zu blicken und darum, das Wesen, jenseits vom Sichtbaren zu erfassen. Seine Bilder bringen verborgene Facetten und Aspekte zum Ausdruck, ermahnen und versöhnen.
„Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“, bestätigen die Worte von Paul Klee Maurers Haltung.
In zahlreichen Büchern, Ausstellungen und Publikationen setzt sich Gerhard Maurer mit verbrauchten, verwaisten Landschaften auseinander, mit dem Verhältnis zwischen Gebautem, Verbautem und dem ursprünglichem Naturraum. Bei der Betrachtung seiner Bilder kommt immer wieder auch der schonungslose Umgang mit vielen Ressourcen in den Sinn bzw. der Wandel, den unsere unachtsame Lebensweise verursacht.
So dokumentieren Maurers Fotografien z.B. verlassene Hotelbauten, die langsam aber stetig verfallen, oder nicht mehr bewohnte Bauernhöfe in abgelegenen Orten inmitten einer blühenden und wuchernden Natur. Sie zeigen Kontraste, die unsere Welt begrenzen und bringen Licht in trostlose Motive, zwischen dem Echten und Unverfälschten. Immer wieder verweisen Maurers Fotografien auf Verletzlichkeit, geben Verlassenem einen Stellenwert und bewahren es damit vor dem Vergessen. In diesen Arbeiten zeichnet der Fotograf in leisen Tönen eine Wirklichkeit, welche sich mit einer subtilen Suche nach Poesie und Schönheit gegen die Zerstörung aufrichtet. In seinen Fotografien drängt sich die Frage nach unserer Zukunft.
Seine Bilder haben große Intensität und Strahlkraft. Insbesondere die Detailaufnahmen wirken wie abstrakte Gemälde und schaffen eine eigene Tiefe im räumlichen Sinne. Ausgewogen komponierte Ausschnitte des Realen treten in völlig neuem Ausdruck in Erscheinung. Subtil verweben sich lichte mit dunklen Flächen, überlagern sich und leuchten in tiefer Sinnlichkeit.
„Nur der konnte wahre Schönheit entdecken, der im Geiste das Unvollendete vollendet“, schreibt der Kunstwissenschaftler Kakuzo Okakura.
In die Tiefe zu sehen, das Wesen hinter der Oberfläche zu erkennen und dieses sichtbar für andere in den Fotografien festzuhalten, charakterisiert das künstlerische Werk von Gerhard Maurer.
Todorka Iliova
Geboren und aufgewachsen in Bulgarien, Studium an der TU Graz, lebt als freischaffende Architektin in Tirol, lehrt an der Kunstuni Linz, laufende Teilnahme an Architekturwettbewerbe und Architekturjurys, Vortrags- und Publikationstätigkeiten.